Am nordöstlichen Rand von Kairo liegen in der Nähe von El-Matarija die Reste der altägyptischen Stadt lunu, in griechischer Zeit Heliopolis genannt, die mit dem koptischen Namen On mehrfach in der Bibel Erwähnung findet. Sie ist eine der ältesten ägyptischen Städte und war Hauptstadt des 3. unterägyptischen Gaus und seit dem Alten Reich das geistige und geistliche Zentrum des ganzen Landes. Heliopolis ist trotz ihrer einstigen Bedeutung als Zentrum des ägyptischen Re-Kultes wegen der modernen Feldernutzung und Überbauung eine der am wenigsten erforschten großen Stätten des Landes.
 
 

Das Heiligtum von Heliopolis lag auf dem "hohen Sand", einem künstlichen Hügel, der mythisch als der Urhügel galt. Er war das erste Stück Land, das bei Weltbeginn aus dem Urgewässer Nun auftaucht. Der Urhügel hängt untrennbar zusammen mit den Mythen vom Anfang der Welt, der für die alten Ägypter die Ordnung des Chaos, die Zeugung der Urgötter und den Sieg des Lichtes bedeutete. Mit dem Urhügel verband sich der Anspruch, Mittelpunkt und ältester Teil des Landes zu sein. Dieselbe Symbolik betont der Benben-Stein, der als Kultmal im offenen Hofe stand und der Vorläufer der ägyptischen Obelisken ist. Täglich bei Sonnenaufgang, wenn ihre Strahlen die vergoldete Spitze trafen, nahm dort der Sonnnengott Platz.

Die Ortsgötter waren der falkenköpfige Re-Harachte und der menschenköpfige Atum mit dem heiligen Stier Mnevis. Die zwei Haupttempel von Heliopolis lagen in einer riesigen, etwa 900 x 1000 m messenden, über 30 Meter dicken Umwallung aus Lehmziegeln, deren Reste man gelegentlich in der Landschaft verstreut findet. Vom Westtor führte wahrscheinlich eine etwa 500 Meter lange Sphingenallee zu dem nach Westen blickenden Atum- Tempel. Eine der Sphingen aus Alabaster soll über 7 Meter lang gewesen sein. In der Glanzzeit von Heliopolis waren die Tempel mit einem Wald von mindestens 16 Obelisken ausgestattet. Der älteste bekannte Obelisk stammt von Teti aus der 6. Dynastie. Amenemhet I. ließ einen neuen Tempel an der Stelle eines älteren Re-Harachte- Heiligtums errichten. Sein Sohn und Nachfolger Sesostris I. stiftete anläßlich seines Sed-Festes für den benachbarten Atum- Tempel ein Paar 20,41 Meter hohe Obelisken aus Assuangranit. Sie werden zusammen mit einer Reihe weiterer Obelisken von mehreren spätantiken und arabischen Reiseschriftstellern erwähnt. Nur einer der beiden steht heute noch aufrecht (arab. 'EI-Misalla') und trägt auf allen vier Seiten die gleiche Inschrift, daß der König von Ober- und Unterägypten, der Herr der Diademe und Sohn der Sonne, Sesostris I., den die (göttlichen) Geister von On lieben, den Obelisken bei seinem ersten Sedfest gestiftet habe. Das Pyramidion war einst vergoldet, ebenso die Falken, die auf jeder Seite die Inschrift anführen. Das Gegenstück dieses Obelisken stürzte im Jahr 1161 n. Chr. um und zerbrach. Auch die berühmten Nadeln der Kleopatra stammen aus Heliopolis und wurden ursprünglich von Thutmosis III. an seinem dritten Sed-Fest vor diesem Tempel errichtet. Im Jahre 13/12 v. Chr. wurden die 21 m hohen Obelisken nach Alexandria geschafft und im Caesareum aufgestellt. Der im Jahre 1301 umgestürzte Obelisk befindet sich seit 1877 in London, der zweite blieb aufrecht stehen, bis er 1880 nach New York abtransportiert wurde. Zahlreiche andere Obelisken aus Heliopolis befinden sich heute in Rom.

Die Priester von Heliopolis waren an einem Großteil der Enstehung des ägyptischen religiösen Schriftgutes beteiligt und ihre Lehren fanden schon in sehr alter Zeit weite Verbreitung im Lande. Noch in griechischer Zeit standen sie im Ruf großer Weisheit: Herodot verkehrte mit ihnen, und die Uberlieferung läßt Plato 13 Jahre bei ihnen verweilen. Heliopolis wurde 525 v. Chr. bei dem Persereinfall unter Kambyses so verwüstet, daß es seitdem nicht mehr besiedelt wurde. Als Strabon in den Jahren 24-20 v. Chr. Ägypten besuchte, war die Stadt schon verödet. Der Tempel war aber bis auf einige Beschädigungen erhalten siehe auch Strabon §27-29. In der Südostecke des Tempelbezirkes fand man die Gräber von Hohepriestern der 6. Dynastie und in El-Matarija Gräber der Spätzeit. Etwa 5 km östlich vom Obelisken befindet sich in der Wüste die ausgedehnte Nekropole von Heliopolis aus der Zeit des Mittleren und Neuen Reiches.