S t r a b o n s

Erdbeschreibung

Siebenzehntes Buch in drei Abschnitten

Erster Abschnitt. Aegypten

Kurze Uebersicht Aegyptens und Aethiopiens. - Der Nil und seine Ergiessungen. - Beschreibung der Hauptstadt Alexandria und einiger benachbarter Orte. - Geschichte der Ptolemäer; jetzige Verwaltung Aegyptens. - Das Küstenland und das Delta mit seinen Seen, Kanälen und wichtigsten Städten. - Aegypten oberhalb des Delta von Memphis und den Pyramiden bis an Syene und Philä, mit dem See Möris und vielen Städten im Nilthale. - Politisches Verhältniss gegen andere Völker, und Kriege der Römer in Aegypten und Aethiopien.

§. 1.

Uebergang auf Aegypten und Libyen.

Nachdem, wir Arabia durchwandernd auch die dasselbe einschliessenden und zur Halbinsel machenden Meerbusen, den Persischen und Arabischen, mitgenommen, und beim letzten zugleich Einiges von Aigyptos, und von Aithiopia die Troglodyten und folgenden Länder bis zu des Zimmtlandes Enden umwandert haben, müssen wir noch die übrigen und diesen Völkern anliegenden Länder, ich meine jene um den Neilos, darstellen; nach diesen durchreisen wir dann Libye, unserer ganzen Erdbeschreibung letzten Theil. Auch hier müssen wir des Eratosthenes Angaben voranstellen.

§. 2.

Des Erotosthenes Nachrichten vom Laufe des Nils, von seinen Quellenflüssen in Aethiopien, von der Insel und Stadt Meroe und den benachbarten Völkern, den Sembriten, Megabarern, Blemmyern, Troglodyten und Nubiern.

Dieser sagt, der Neilos sei vom Arabischen Busen neuhundert oder tausend Stadien gegen Westen entfernt, und gegen die Mündung dem umgekehrt liegenden N (y) ähnlich. Denn, sagt er, von Meroe etwa zweitausend und siebenhundert Stadien gegen Norden hinabgeflossen wendet er sich wieder gegen Süden und den winterlichen Untergang auf dreitausend und siebenhundert Stadien; so beinahe gegen die Orte um Meroe gelangt, und weit in Libye vorgedrungen, macht er eine zweite Wendung, und strömt wieder gegen Norden, und zwar fünftausend und dreihundert Stadien bis zum grossen Wassersturze, zugleich wenig ausbeugend gegen Morgen; dann tausend und zweihundert zum kleineren bei Syene, und andere fünftausend und dreihundert zum Meere. In ihn ergiessen zwei aus einigen Seen von Morgen her strömende Flüsse, welche die sehr grosse Insel Meroe umschliessen; der eine, auf der östlichen Seite strömende, heisst Astaboras, der andere Astapus; Einige aber nennen ihn Astasobas ; denn der Astapus sei ein anderer, welcher aus einigen Seen von Süden strömend fast auf gerader Linie des Neilos Körpermasse bilde; seine Anschwellung aber bewirken die sommerlichen Regengüsse. Siebenhundert Stadien oberhalb der Vereinigung des Astaboras und Neilos liege die der Insel gleichnamige Stadt Meroe. Ueber der Insel Meroe aber sei noch eine andere Insel, welche die von Psammitichos abgefallenen Flüchtlinge der Aegyptier bewohnen. Diese heissen Sembriten, gleichsam Ankömmlinge; sie haben eine Frau zur Königin, gehorchen aber dem Könige in Meroe. Die Länder beiderseits unterhalb Meroe bewohnen längs dem Neilos gegen das Rothe Meer die Megabarer und Blemmyer, den Aithiopen gehorchend, aber schon den Aigyptiern begrenzt; am Meere die Troglodyten oder Höhlenwohner. Jene Troglodyten aber seitwärts Meroe's sind vom Neilos zehn oder zwölf Tagesreisen entfernt. Dem Strombette des Neilos zur Linken wohnen in Libye die Nuben, ein grosses Volk, von Meroe anbeginnend bis zu den Umbeugungen, nicht den Aithiopen untergeordnet, sondern für sich in mehre Königreiche vertheilt. Die Seite Aigyptens längs dem Meere von der Pelosischen Mündung zur Kanobischen hält tausend und dreihundert Stadien. Dieses also berichtet Eratosthenes.

§. 3.

Ausführliche Beschreibung Aegyptens; zuerst Vergleichung mit Aethiopien hinsichtlich des Nils, des Bodens und der Lebensweise der Menschen. Aegyptens Verfassung und mehrfache Eintheilung und sorgfältige Vermessung des Landes. Natürliche und künstliche Bewässerung durch den Nil, wovon die grössere oder geringere Ergiebigkeit abhängt.

Aber wir müssen ausführlicher reden, und zuvörderst über Aigyptos, um vom Bekannteren zum Entfernteren fortzuschreiten. Der Neilos demnach verschafft sowohl diesem als dem zunächst und über ihm folgenden Lande der Aethiopen einige gemeinschaftliche Vortheile, indem er Beide tränkt während der Anschwellungen, und eben diesen in den Ueberschwemmungen bedeckten Theil bewohnbar zurücklässt, hingegen alles höhere und beiderseits über das Strombette sich erhebende und eben wegen des Wassermangels wüste und unbewohnte Land nur durchströmt. Aber weder das ganze Aithiopia durchströmt der Neilos, noch er allein, noch in gerader Richtung, noch ein schönbewohntes Land; Aigyptos hingegen er allein, und das ganze, und in gerader Richtung, vom kleinen Wassersturze über Syene und Elefantine beginnend, wo Aigyptens und Aithiopiens Grenzen sind, bis zu den Ergiessungen des Neilos ins Meer. Ferner leben die Aithiopen, wenigstens jetzt, grössten theils als Wanderhirten und in Armuth wegen des Landes Unfruchtbarkeit und der ungemässigten Lufthitze und Entlegenheit von uns; den Aigyptiern hingegen ist von Allem das Gegentheil geworden. Denn sie leben von jeher staatsbürgerlich und gesittet, und wohnen in bekanntem Lande, so dass auch ihre Einrichtungen kundig werden; sogar rühmt man sie, weil sie des Landes Trefflichkeit durch weise Eintheilung und Sorgfalt vortheilhaft zu benutzen scheinen. Denn nachdem sie einen König erwählt, und das Volk dreifach abgeschieden hatten, bestimmten sie die Einen zu Kriegern, die Andern zu Feldbauern, zu Priestern die Uebrigen; Diese zu Besorgern der heiligen, Jene hingegen der menschlichen Dinge, und zwar so, dass Einige des Krieges, Andere alle Geschäfte des Friedens, sowohl Feld als Künste, übernahmen; von Diesen wurden auch die Einkünfte aufgebracht für den König. Die Priester aber übten auch Weltweisheit und Sternkunde , und waren Gesellschafter der Könige. Des Landes erste Eintheilung war jene in Nomen oder Landgaue; zehn enthielt Thebais, zehn das Land im Delta, sechszehn das Zwischenland; nach Einigen aber waren der sämmtlichen Landgaue so viele, als Pallasthallen im Labyrinthos; dieser aber sind weniger als sechs und dreissig. Wiederum enthielten die Landgaue andere Abschnitte; denn die meisten waren in Ortskreise abgetheilt, und auch Diese wieder in andere Abschnitte; die kleinsten Teile waren die Felder. Es bedurfte aber dieser genauen und ins Kleine gehenden Abtheilung wegen der beständigen Verwirrung der Grenzen, welche der Neilos während seiner Anschwellungen bewirkt, indem er wegnimmt und zusetzt, und die Gestalten verändert und die übrigen Zeichen vernichtet, wodurch Fremdes vom Eigenen unterschieden wird; es muss also wieder und wieder gemessen werden. Daher soll dort auch die Messkunst entstanden sein, wie die Rechnenkunst und Zahlenlehre bei den Phoiniken wegen des Handels. Dreifach aber war, wie das ganze, so auch jedes Landgaues Volk abgetheilt, weil auch das Land in drei gleiche Theile gesondert war. Die Arbeiten hingegen um den Strom sind so verschieden, als die Besiegung der Natur durch Bemühung erfordert. Denn schon von Natur bringt das Land viele Frucht, getränkt aber mehr; von Natur tränkt auch die grössere Anschwellung mehr Land, aber Bemühung ersetzte oft, was die Natur versagte, so dass auch bei geringeren Anschwellungen durch die Kanäle und Eindeichungen eben soviel Land getränkt wird, als bei grösseren. So war vor Petronius Zeiten die grösste Ergiebigkeit und Anschwellung, wenn der Neilos auf vierzehn Ellen stieg; wenn aber auf acht, erfolgte Hungersnoth. Als aber jener das Land verwaltete, und des Neilos Maass nur zehn Ellen füllte, war die grösste Ergiebigkeit; und als es nur acht füllte, bemerkte Niemand Hungersnoth. So beschaffen ist Aigyptens Anordnung; jetzt wollen wir das Uebrige beschreiben.

§. 4.

Ausführliche Beschreibung des Nils, seines Laufs, seiner Mündungsarme im Delta, und seiner Bewässerung des beiderseitigen Flachlandes, welches durch Berge eingefasst einem Bandstreifen gleicht.

Der Neilos nämlich strömt von den Aithiopischen Grenzen auf gerader Linie gegen Norden bis zur so genannten Landschaft Delta; dann gegen eine Scheitelspitze gespalten, wie Platon sagt, bildet er diese Gegend gleichsam zur Spitze eines Dreiecks; zu Seiten des Dreiecks aber die gegen beide Seiten gespaltenen zum Meere hinabgehenden Stromarme, den einen zur Rechten gegen Pelusion, den andern zur Linken gegen Kanubon und das nahe so genannte Herakleion; zur Grundlinie aber die Küste zwischen Pelusion und dem Herakleion. So wird durch das Meer und des Stromes beide Arme eine Insel abgeschnitten, und wegen der Aehnlichkeit ihrer Gestaltung Delta genannt; aber auch die Gegend an der Spitze ist gleichnamig benannt, weil sie der erwähnten Gestaltung Anfang ist. Auch der dort liegende Flecken heisst Delta. Dies sind also jene zwei Mündungen des Neilos , deren eine die Pelusische, die andere die Kanobische und Herakleiotische heisst. Zwischen Diesen aber sind fünf andere Ergiessungen, und zwar beträchtliche, aber auch mehre schwächere; denn viele schon von den ersten Theilen ausgehende und durch die ganze Insel vertheilte Nebenarme bildeten viele Flussbetten und Inseln, so dass das ganze Delta beschiffbar wurde, weil Kanäle aus Kanälen gezogen waren, welche mit solcher Leichtheit befahren werden, dass Einige sich sogar thönerner Fahrzeuge bedienen. Uebrigens hält die ganze Insel im Umfange ungefähr dreitausend Stadien; man nennt sie auch nebst den gegenüber liegenden Uferflächen des Delta das Niederland. Durch die Anschwellungen des Neilos wird sie ganz überdeckt; dass sie versumpft, ausser den Wohnorten; denn diese sind entweder auf natürlichen Anhöhen oder auf Schutthügeln erbaut, sowohl beträchtliche Städte als Flecken, welche von fern gesehen Inseln gleichen. Nachdem das Wasser über vierzig Tage im Sommer gestanden hat, nimmt es eben so mälig Abzug, als es die Anschwellung machte; innerhalb sechszig Tagen aber wird das Flachland völlig entblösst und abgetrocknet. Je schneller die Abtrocknung, desto schneller das Pflügen und Säen, und schneller da, wo die Hitze grösser ist. In gleicher Weise wird auch das Land über dem Delta getränkt, ausser dass der Strom auf gerader Linie von etwa viertausend Stadien in Einem Bette hinabströmt, es sei denn, dass hier und dort eine Insel begegne, unter welchen die den Herakleotischen Landgau umfassende die beträchtlichste ist; oder hier und dort eine stärkere Ableitung durch einen Kanal zu einem grossen See und einer grossen Landschaft, welche er tränken kann, wie bei dem den Arsinoitischen Landgau und See Moiris machenden Kanale, und den in die Mareotis einströmenden. Um kurz zu reden, nur das von Aithiopiens Grenzen bis zu des Delta Spitze herabreichende, dem Neilos beiderseits erreichbare, aber selten in ununterbrochen bewohnlicher Breite dreihundert Stadien haltende Flussland ist Aigyptos. Es gleicht also, mit Ausnahme der stärkeren Ausbeugungen, einem auf der Länge zunehmenden Gurtbande. Diese Gestalt des Flussthals, welche ich bezeichne, und des Landes überhaupt, bewirken die beiderseits von den Orten um Syene bis zum Aigyptischen Meere hinablaufenden Berge. Denn wie weit Diese sich hinabziehen und von einander abstehen, so weit beschränkt und ergiesst sich auch der Fluss, und gestaltet das bewohnbare Land verschiedentlich. Jenes aber jenseit der Berge ist auf weithin unbewohnt.

§. 5.

Die Ursachen der Anschwellung des Nils durch die Aethiopischen Regen wurden erst durch die Ptolemäer erforscht. Die Pharaonen und die Persischen Könige kümmerten sich nicht darum; auch die Aegyptischen Priester nicht, sondern erst die Ptolemäer und Griechische Forscher. Beiläufig eine kritische Bemerkung über die Schriften des Eudorus und Aristo. Altes und eigentliches Aegypten bloss das Nilthal; erst unter den Ptolemäern ausgedehnt bis an den Arabischen Busen und die Oasen. Begriff der Oasen.

Die Alten erkannten grösstentheils nur durch Vermuthung, die Späteren hingegen als Selbstschauer, dass der Neilos durch die sommerlichen Regen gefüllt werde, welche das obere Aithiopia, und zwar vorzüglich in den äussersten Gebirgen übergiessen; dass aber mit den nachlassenden Regen allmälig auch sein Ueberguss nachlasse. Dieses ward besonders erkundet durch die den Arabischen Busen bis zum Zimmtlande Beschiffenden und die auf Jagd der Elefanten Abgeschickten, und wenn noch andere Zwecke die Ptolemaischen Könige in Aigyptos dorthin Männer auszurüsten reizten. Denn Diese kümmerten sich um solche Dinge, vorzüglich der Philadelphos zubenamte, welcher bei Wissbegier und Körperschwäche immer neue Zerstreuungen und Ergötzlichkeiten suchte. Die alten Könige aber kümmerten sich gar nicht um solche Dinge, wenngleich sowohl selbst der Weisheit zugethan, als die Priester, mit welchen sie den meisten Umgang hatten. Schon deshalb also muss man sich darüber wundern; aber auch, weil Sesostris das ganze Aithiopia bis zum Zimmtlande durchzog, und als Denkmale seines Heerzuges noch jetzt Säulen und Aufschriften gezeigt werden. Auch Kambyses zog, nachdem er Aigyptos erobert, mit den Aigyptiern bis gen Meroe hinauf; sogar sei, sagt man, dieser Name von ihm sowohl der Insel als der Stadt beigelegt, weil dort seine Schwester Meroe, Einige sagen seine Gemalin, gestorben war. Dieser Frau demnach, welche er ehrte, widmete er jene Benamung. Wundersam also ist es, wie bei solchen Veranlassungen die Kunde von den Regen den damaligen Menschen nicht völlig klar wurde, da überdies die Priester Alles, was ausgezeichnete Kenntniss verräth, sehr sorgfältig in die heiligen Bücher eintrugen und aufbewahrten. Denn man musste, wenn irgend Etwas, Dieses untersuchen, welches noch jetzt untersucht wird, warum doch wohl im Sommer, aber nicht im Winter, und warum in den südlichsten Ländern, aber nicht in Thebais und um Syene solche Regen fallen? Jenes hingegen, ob aus Regengüssen die Auschwellungen entstehen, musste man nicht untersuchen, auch nicht solcher Zeugen bedürfen, als Poseidonios aufführt. Denn er sagt, Kallisthenes setze die Ursachen in die sommerlichen Regen, von Aristoteles entlehnend, Dieser aber von Thrasyalkes dem Thasier, einem der alten Naturforscher; Dieser wieder von einem Andern; Dieser endlich von Homeros, welcher den Neilos den Zeusentsprossnen nennt: "Dann rückwärts zu dem Strom Aigyptos, dem Zeusentsprossnen." Jedoch ich lasse Dieses, wovon Viele gesprochen haben, deren zwei anzuzeigen genügen wird, welche zu unserer Zeit das Buch über den Neilos schrieben, Eudoros und Ariston den Peripatetiker; denn die Anordnung ausgenommen erscheint alles Uebrige sowohl in Redeweise als Behandlung bei Beiden in einerlei Gestalt. Weil ich also doppelter Abschriften zur Vergleichung ermangelte, verglich ich den einen mit dem andern; welcher von Beiden aber des Fremden Entwender war, dürfte man wohl nur bei Ammon erfahren. Eudoros zwar beschuldigte Ariston, aber die Redeweise ist viehmehr Aristonisch. Die Alten übrigens nannten nur das wirklich bewohnte und vom Neilos getränkte Land Aigyptos, von den Orten um Syene angerechnet bis zum Meere; die Neueren aber bis auf uns nahmen auf der Seite gegen Morgen zwischen dem Arabischen Busen und dem Neilos beinahe Alles hinzu (die Aithiopen aber berühren das Rothe Meer fast gar nicht), auf der westlichen den Landstrich bis an die Auasen, und an der Seeküste jenen von der Kanobischen Mündung bis an den Katabathmos und das Gebiet der Kyrenaier. Denn die Könige nach Ptolemaios gelangten zu so grosser Macht, dass sie dass sie auch Kyrenaia selbst besassen und mit Aigyptos zusammenfügten, wie auch Kypros; die nach Jenen die Herrschaft erlangenden Romaner aber schieden Aigyptos wieder ab, und erhielten ihm die alten Grenzen. Aussen endlich nennen die Aigyptier von grossen Sandwüsten rings umschlossene und Hochseeinseln gleichende bewohnte Landschaften. Solcher gibt es in Libye viele; drei aber sind Aigyptos benachbart und zugeordnet. - Dieses sagen wir von Aigyptos im Ganzen und in Uebersicht; jetzt wollen wir dieses Landes Einzelheiten und Vorzüge beschreiben.

 
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