§. 36.

Philosophische Betrachtungen über das Werk der Natur und der Vorsehung. Beide wirken gemeinschaftlich in allen Weltstoffen und Körpern, und sind die Ursache auch allerVeränderungen in und auf der Erde.

Ueber diese Gegenstände wurde im ersten Buche dieser Erdbeschreibung des Weiteren gesprochen; auch hier erwähnen wir ihrer in Kürze, das Werk sowohl der Natur als der Vorsehung unter Einen Gesichtspunkt zusammenstellend. Werk der Natur ist es, dass, da Alles gegen Einen Punkt, die Mitte des Ganzen, zusammenneigt, und sich um denselben rundet, das Dichteste und Mittelste die Erde ist, das weniger Dichte und Zunächste das Wasser; Beides eine Kugel, die eine indicht, die andere hohl, sintemal inwendig die Erde enthaltend. Der Vorsehung hingegen, dass sie, gleichfalls eine manchfache Wirkerin und unzähliger Werke Bildnerin, als die ersten und über die andern weit sich erhebenden Wesen lebendige Geschöpfe zu erzeugen beschloss, und unter diesen die edelsten die Götter und Menschen, um deren willen auch alles Uebrige erschaffen ist. Den Göttern nun wies sie den Himmel an, den Menschen die Erde, gleichsam die Enden der Weltallstheile ; denn der Kugel Enden sind die Mitte und die Oberfläche.Weil also das Wasser die Erde umgibt, der Mensch aber kein Wasserthier, sondern ein Land- und Luftthier ist, auch vieles Lichts bedarf, so machte sie auf der Erde viele Höhen und Tiefen, so dass in Diesen das ganze, oder doch das meiste die Erde unter sich verbergende Wasser aufgenommen wurde, in Jenen hingegen die Erde überragte und unter sich das Wasser verbarg, ausgenommen soviel dem menschlichen Geschlechte, und den Thieren und Pflanzen um dasselbe, erforderlich war. Weil ferner alle Dinge in beständiger Bewegung sind und grosse Umwandlungen erleiden (denn anders wäre über solche und so viele und so grosse Körper des Weltalls zu walten nicht möglich), so darf man vermuthen, dass weder die Erde stets so fortdaure, dass sie, nichts sich zusetzend, nichts abnehmend, stets so gross bleibe, noch das Wasser; noch auch, dass Beide dieselbe Lage behalten, zumal, da die wechselseitige Veränderung so naturgemäss und wahr ist; vielmehr muss man glauben, dass sowohl des Landes Viel in Wasser übergehe, als der Gewässer viele sich verlanden, auf dieselbe Weise, wie auch auf der Erde, welche auch in sich selbst so viele Verschiedenheiten zeigt; denn die eine ist mürbe, die andere dicht, andere steinig, andere eisenhaltig, und so noch andere. Aehnliche Unterschiede zeigt auch der Wasserstof; der eine ist salzig, der andere süss und trinkbar, ein dritter arzneilich und heilsam, oder auch schädlich, einige kalt, andere warm. Wie wäre es also wunderbar, wenn einige Theile der Erde, welche jetzt bewohnt sind, vormals vom Meere bedeckt, die jetzigen Meere hingegen vormals bewohnt waren? So versiegten auch vormalige Quellen, andere brachen hervor, und gleicherweise Flüsse und Seen; so verwandelten sich auch Berge und Ebenen ineinander, worüber wir schon früher Manches sagten , was auch jetzt gesagt sei.

§. 37.

Weitere Nachricht vom See Möris und dem zu ihm führenden Kanale. Ausführliche Beschreibung des Labyrinthes und der Begräbnisspyramide des Ismandes.

Der See des Moiris also vermag wegen seiner Grösse und Tiefe während der Anschwellungen die Auflut zu fassen, dass er nicht überlaufe auf die bewohnten und besäeten Felder; hernach aber beim Sinken, nachdem er den Ueberfluss in demselben Kanale durch die eine der beiden Mündungen zurückgegeben hat, das für die Bewässerungen nöthige Wasser rückständig behalte, sowohl er selbst als der Kanal. Dieses thut die Natur; aber an beiden Mündungen des Kanals liegen auch Hemmschleusen, vermittelst welcher die Baukundigen den Ein- und Ausfluss des Wassers ermässigen. Ausserdem ist hier des Labyrinthos Gebäu , ein den Pyramiden gleichendes Bauwerk, und nebenstehend das Begräbniss des Königs, welcher den Labyrinthes erbauete. Nämlich dem neben der ersten Einfahrt in den Kanal etwa dreissig oder vierzig Stadien Vorschreitenden begegnet eine ähnliche tafelähnliche Fläche, welche einen Flecken und einen grossen aus so vielen Königshäusern, als vormals Landgaue waren, bestehenden Pallastbau enthält; denn so viele mit Säulen eingefasste und einander berührende Pallasthallen sind dort, alle in Einer Reihe und in Einer Wand, welche die Pallasthallen wie vor einer langen Mauer vor sich liegen hat; die Wege aber zu ihnen sind der Mauer gegenüber. Vor den Eingängen liegen viele und lange Deckgänge, welche krumme Wege durcheinander haben, so dass der Zugang und Ausgang jeder Pallasthalle keinem Fremden ohne Führer möglich ist. Bewundernswürdig ist, dass aller Gemächer Decken einsteinig, und auch der Deckgänge Breiten gleicherweise mit einsteinigen Platten von ausserordentlicher Grösse überdeckt sind, indem nirgend weder Holz noch anderes Bauwerk zugemischt ist. Besteigt man das Dach, dessen Höhe bei Einem Geschoss nicht gross ist, so erblickt man eine steinerne Fläche von eben so grossen Steinen; von hier wieder gegen die Pallasthallen hinausblickend sieht man sie von sieben und zwanzig einsteinigen Säulen unterstützt in Einer Reihe liegen. Auch die Wände sind aus Steinen nicht geringerer Grösse zusammengefügt. Am Ende dieses über ein Stadion einnehmenden Bauwerks ist das Grabmal, eine viereckige, in jeder Seite etwa vier Plethra oder vierhundert Fuss und gleiche Höhe haltende Pyramide. Der darin Begrabene heisst Ismandes. Uebrigens behauptet man, so viele Palläste seien aufgebaut, weil es Sitte war, dass alle Landgaue in auserwählten Adelsmännern mit ihren eigenen Priestern und Opferthieren dort zusammenkamen, Opfer und Göttergeschenke darzubringen, und über die wichtigsten Angelegenheiten zu entscheiden. Jeder der Landgaue bezog dann den ihm bestimmten Pallast.

§. 38.

Die Stadt Arsinoe mit dem Krokodildienste.

Diesem Orte auf hundert Stadien vorbeischiffend erreicht man die Stadt Arsinoe, welche früher Stadt der Krokodile hiess; denn man ehrt in diesem Landgau vorzüglich den Krokodil, und ein in einem See besonders unterhaltener ist dem Volke sogar heilig, gegen die Priester aber zahm. Er heisst Suchos, und wird genährt mit Brod, Fleisch und Wein, welches die zum Beschauen kommenden Fremden immer mitbringen. Unser Gastwirth, einer der geehrtesten Männer zu Arsinoe, welcher uns die heiligen Dinge zeigte, ging mit uns zum See, von der Mahlzeit einen Kuchen, gebratenes Fleisch und ein Fläschchen Honigmeth mitnehmend. Wir fanden das Thier am Rande liegen. Die Priester gingen hinzu, zwei öffneten das Maul, der dritte steckte das Backwerk und dann das Fleisch hinein, worauf er das Honigmeth eingoss; das Thier aber sprang in den See, und schwamm zum jenseitigen Ufer. Als noch ein anderer der Fremden herzukam, welcher gleiche Opfergabe brachte, nahmen die Priester dieselbe, umgingen laufend den See, und reichten dem angetroffenen Krokodile das Mitgebrachte auf gleiche Weise.

§. 39.

Der Herakleotische Landgau und die Stad Herakleupolis, wo man den Ichneumon verehrt. Nachricht, wie der Ichneumon den Krokodil und die Ottern tödtet.

Nach dem Arsinoitischen und [im] Herakleotischen Landgau folgt die Stadt Herakleupolis, wo, den Arsinoiten widersprechender Weise, der Ichneumon geehrt wird. Denn Diese ehren die Krokodile, wesshalb sowohl ihr Kanal als des Moiris See von Krokodilen voll ist; denn sie halten dieselben heilig und schonen ihrer; die Herakleoten hingegen verehren die den Krokodilen sowohl als den Ottern so verderblichen Ichneumone. Denn Diese vernichten nicht nur ihre Eier, sondern auch die Thiere selbst, mit Schlamme bepanzert. Denn in diesem umgewälzt trocknen sie sich an der Sonne; dann fassen sie die Ottern entweder beim Kopfe oder beim Schwarze, ziehen sie in den Strom und tödten sie; die Krokodile aber belauern sie, wann sie mit geöffnetem Rachen sich sonnen. Dann laufen sie in den Rachen, zerfressen Eingeweide und Magen, und entschlüpfen wieder aus den todten Körpern.

§.40.

Die Städte Kynopolis und Oxyrynchus. Verschiedenheit des Thierdienstes, welcher für einige Thiere allgemein, für andere auf gewisse Orte beschränkt ist.

Zunächst folgt der Kynopolitische Landgau und Kynonpolis, wo der Anubis verehrt wird, und den Hunden Ehre und heilige Speisung verordnet ist. Am Gegenufer liegt die Stadt Oxyrynchos und ein gleichnamiger Landgau. Sie verehren hier den Oxyrynchos, d. i. den Spitzrüssel oder Stör, und haben auch einen Tempel des Oxyrynchos; jedoch verehren auch die übrigen Aigyptier diesen Fisch. Denn überhaupt verehren die Aigyptier einige Thiere allgemein; der vierfüssigen drei, Stier, Hund und Katze; der Vögel zwei, den Sperber und Ibis; der Wasserthiere zwei, die Fische Lepidotos, d. i. Schuppenfisch, und den Oxyrynchos oder Stör. Andere hingegen verehren einzelne Orte für sich, wie die Saiten und Thebaiten das Schaf; den Latos, einen gewissen Fisch im Neilos, die Latopoliten ; den Wolf die Lykopoliten ; den Hundskopfaffen die Hermopoliten ; den Kepos oder Pavian die Babylonier bei Memphis (der Pavian ist im Gesicht dem Satyros ähnlich, übrigens zwischen dem Hunde und Bären, und lebt in Aithiopia); den Adler die Thebaier, den Löwen die Leontopoliten, die Ziege und den Bock die Mendesier, die Spitzmaus die Athribiten, noch Andere ein anderes Thier; die vorgeblichen Ursachen aber stimmen nicht zusammen.

 
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